Tarotkarten: Der Gehängte

Der Gehängte ist mal wieder eine irreführende Tarot-Karte. Es scheint, als hätten die Weisen aus der Antike einen gewissen Sinn für Humor gehabt. Die Ironie dieser Karte mag aber auch repräsentativ für das magische Bewusstsein sein, aus denen die Metaphysik hinter dem Tarot entstanden ist. In der Magie wird nämlich gerne mal etwas auf den Kopf gestellt oder als das Gegenteil von dem ausgegeben, was es eigentlich ist.

Ein glücklicher Gehängter?

Wenn man die Tarot-Karte „Der Gehängte“ betrachtet, fällt einem gleich auf, dass das nicht die typische Szene ist, die man mit so einem Titel verbinden würde. Statt einem sterbenden, sehen wir einen recht fidelen Jüngling, der eher wie zum Spaß oder aus einer gewissen Überlegenheit heraus, am „Galgen“ baumelt. Als wüsste er etwas, das wir nicht wissen und vertriebe sich nur die Zeit. In diesem Sinne erinnert uns diese Karte an den Narren, der in einer scheinbar aussichtslosen Situation unbeschwert wirkt.

Abgesehen von der ungewöhnlichen Position der Figur, die scheinbar mit einem Seil kopfüber an einen Balken dargestellt wird, ist nicht viel besonderes an der Karte. Der Hintergrund ist einfach grau. Die Kleidung des Jünglings ist mit rot und blau unscheinbar. Jedoch sind zwei Details ausschlaggebend für die Interpretation: Zum einen rankt sich etwas wie Efeu um den Balken. Dies gibt der Szene einen positiven Ton, dem Leben zugewandt. Außerdem zeigt sich um den Kopf der Figur ein goldgelber Heiligenschein, der strahlend hervorsticht. Wie lässt sich diese widersprüchlich scheinende Karte also deuten?

Sich einfach mal hängen lassen…

Ein Motto der Hermeneutik, der metaphysischen Lehre, auf der das Rider-Waite-Tarot basiert, lautet. „Wie unten, so oben“. Wenn man davon ausgeht, dass dieser Satz nicht nur so daher geredet wurde, sondern aus einer tieferen spirituellen Erfahrung entstanden ist, erklärt sich, warum er unserem alltäglichen Erfahrungen zu wieder läuft. In unserem Alltag ist es sehr wichtig, ob wir gerade obenauf sind, oder mal wieder „untergebuttert“ wurden. Wir denken ständig in Hierarchien und bewerten unseren momentanen Fortschritt im vom Ego kreierten Hamsterrad unserer Begierden. Aus einem Einheitsbewusstsein auf einer höheren Ebene der Existenz, mögen die Gelehrten alter Zeiten diesen Satz geprägt haben, der uns daran erinnert, dass im göttlichen, wahren Bewusstsein auch die schlimmste Erfahrung von der schönsten kaum entfernt ist.

Die Aufhebung der Dualität zwischen Gut und Böse und dem Erkennen des Göttlichen hinter und in Allem ist eine essentielle Erkenntnis vieler spiritueller Traditionen. Die Unbeschwertheit der Figur am Galgen erklärt sich also durch ihren Heiligenschein – sie ist in diesem Einheitsbewusstsein und lässt sich durch die scheinbar unangenehme Situation nicht beunruhigen. Diese Karte lehrt uns also Gleichmut in für den menschlichen Geist unangenehmen Situationen, die wir am besten meistern, wenn wir ihnen mit einem erleuchteten Geist des Einheitsbewusstseins begegnen.